Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Gesundheitswesen

26. Mai 2014

Beschluss: Verlässliche Versorgung für Alle - Jetzt sichern!

Zur Lage Das deutsche Gesundheitssystem genießt eine hohe Wertschätzung in der Bevölkerung. Um diese zu erhalten, müssen bestehende Über-, Unter- und Fehlversorgungen behoben werden. Alarmierend sind vor allem bestehende soziale Ungleichheiten im Zugang und in der Versorgung kranker Menschen. Die Lebenserwartung der Menschen aus dem unteren Einkommensbereich ist um durchschnittlich mehr als zehn Jahre geringer gegenüber Menschen der oberen Einkommensschichten. Zudem muss sich unser Gesundheitssystem auf die Zunahme chronischer und psychischer Erkrankungen einstellen. Die Multimorbidität und Pflegebedürftigkeit hochbetagter Menschen stellt zukünftig eine ganze besondere Herausforderung dar. Handlungsbedarf 1 Die Entwicklung in der Medizin erfordert sowohl aus fachlichen wie aus wirtschaftlichen Gründen die Förderung integrierter Versorgungsformen, seien es Gemeinschaftspraxen, Medizinische Versorgungszentren (MVZ) oder Versorgungsnetze von Arztpraxen und Krankenhäusern, unter Einbeziehung anderer Therapeuten, sowie rehabilitativer und pflegender Versorgungsangeboten. Nur mit derartigen Verbünden kann die medizinische und pflegerische Versorgung flächendeckend langfristig gesichert werden. Unsere Forderungen 1. Versorgungsverantwortung wahrnehmen - Versorgung umfassend sichern 1.1 Die bedarfsgerechte Ausgestaltung der Versorgung ist über eine Kombination von Kollektiv- und Selektivverträgen zu intensivieren. Kollektiv und Selektivverträge stehen gleichrangig nebeneinander. Sie enthalten verbindliche Vereinbarungen über Qualitätsstandards, Sanktionen bei deren Nichteinhaltung und sie sind zu evaluieren. 1.2 Die Bedarfsplanung der medizinischen Versorgung ist künftig sektorübergreifend zu gestalten und durch eine landesweit verbindlich festgelegte Rahmenplanung konsequent an den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten zu orientieren. Verträge zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern müssen die Vorgaben der Bedarfsplanung zwingend berücksichtigen. Die Umsetzung muss verfassungsrechtlich in der Letztverantwortung der Länder liegen. Die Länder erhalten Durchgriffsrechte, wenn Versorgungslücken bestehen oder drohen , beziehungsweise gesetzliche Vorgaben in vorgegeben Fristen nicht sachgerecht umgesetzt werden. 1.3 Zur Sicherstellung einer qualitätsorientierten und versorgungsoptimierenden integrierten Versorgung muss es eine eigene dauerhafte Finanzierungsstruktur ("Dritter Topf") geben. Weil multimorbide und psychisch kranke Menschen immer integrierte professionelle Hilfen brauchen, müssen für diese komplexen Indikationen verbindlich integrierte Versorgungsformen gesetzlich vorgegeben werden. Handlungsbedarf 2 2. Medizin- und Pflegeberufe aufwerten und ausbilden - Unsere Forderungen Die starke Arztzentrierung im deutschen Gesundheitssystem ist vor allem in der Primärversorgung problematisch. Um chronisch kranke und multimorbide Menschen besser zu versorgen, muss der effektive Einsatz qualifizierter Gesundheitsfachberufe gefördert, sowie die "Lotsenfunktion" der Hausärztinnen und -ärzte gestärkt werden. 2.1 In der Aus- und Weiterbildung von Gesundheitsberufen muss dem wachsenden Bedarf an Hausärztinnen und Hausärzten Rechnung getragen werden. Es bedarf einer gezielten Förderung von allgemeinmedizinischer Forschung und Ausbildung (mehr Lehrstühle für Allgemeinmedizin) und Weiterbildung. Die Zahl der Weiterbildungsstellen für allgemeinmedizinische Fachärzte ist auszubauen. 2.2 Andere Gesundheitsberufe sind aufzuwerten. Der effektive Einsatz qualifizierter Gesundheitsfachberufe, insbesondere in der Versorgung der wachsenden Zahl chronisch kranker und älterer Menschen, muss gefördert werden, auch um die ärztliche Kernkompetenz überall dort wo sie alternativlos gebraucht wird zu sichern . Es müssen verstärkt vertikale und horizontale Übergänge zwischen den Gesundheitsberufen ermöglicht werden, z. B. durch niedrigschwellige Zugänge zu den Ausbildungen und der Ermöglichung von Studiengängen. . 2.3 Bei der Optimierung der Aus- und Weiterbildung anderer qualifizierter Gesundheitsberufe ist mehrgleisig zu verfahren, da unterschiedliche Qualifikationen benötigt werden. Der Rückgang der Schulabgängerzahlen ab 2012 führt bei den gegenwärtigen Rahmenbedingungen zu einem erheblichen Fachkräftemangel. Deshalb brauchen wir vorrangig die Aus- und Weiterbildung von Pflegekräften für eine Tätigkeit in der Primärversorgung. Dabei bietet sich das duale Ausbildungssystem mit seinen niedrigen Zugangshürden und seinen horizontalen und vertikalen Übergängen sowie seiner Gestaltbarkeit durch die Sozialpartner an. 2.4 Für die Pflege und Betreuung mehrfach kranker und pflegebedürftiger Menschen werden bis 2020 deutlich mehr Fachkräfte gebraucht. Deshalb bedarf es eines Maßnahmenbündels, um diese Berufe attraktiver zu machen. Dazu gehören u. a. höhere tarifliche Vergütungen, familienfreundliche Arbeitszeiten und Arbeitsorganisation sowie Weiterbildungsmöglichkeiten von angelernten Mitarbeitern zu Fachkräften. In der Krankenhausversorgung muss die Arbeitsbelastung der Beschäftigten dringend reduziert und eine Personalausstattung zur Sicherstellung der Strukturqualität gewährleistet werden. Dementsprechend müssen die Leistungen in der Primärversorgung von den Kranken- und Pflegekassen sowie den anderen Sozialleistungsträgern angemessen vergütet werden. Handlungsbedarf 3 3. Gefährliche Anreize - neue Finanzierungsperspektiven eröffnen Am meisten leiden die Menschen heute unter der Diskriminierung im Wartezimmer. Die Wartezeit auf einen Arzt, insbesondere Facharzttermin, richtet sich in der Regel nicht nach der Schwere der Erkrankung, sondern nach dem Versichertenstatus. Ärztliche Kompetenz konzentriert sich in städtischen Strukturen mit hohem -Privatversichertenanteil. In ländlichen Regionen und benachteiligten Stadtteilen fehlen zunehmende Fachärzte. Ursache ist vorrangig die Einkommenserwartung der Ärztinnen und Ärzte aufgrund unterschiedlicher Honorarsysteme. In der ärztlichen Versorgung ist deshalb schnellstens eine neue Honorarordnung zu entwickeln und zu implementieren. Unsere Forderungen 3.1 Anstelle konkurrierender ärztlichen Gebührenordnungen in GKV und PKV ist die Entwicklung und Einführung einer neuen, einheitlichen Gebührenordnung dringend geboten. Sie ist schnellstens gesetzlich und mit qualitätsfördernden Standards vorzugeben. 3.2 Bei der Kalkulation der neuen Vergütungsordnung ist am derzeitigen Vergütungsvolumen in der ambulanten ärztlichen Vergütung aus beiden Versicherungszweigen festzuhalten. Bei der Bemessung der Vergütungen ist der zukünftige Mehrbedarf bei der Behandlung von multimorbiden und kranken behinderten Menschen angemessen zu berücksichtigen. 3.3 Um die Schnittstellenprobleme zwischen der ambulanten und stationären Versorgung zu reduzieren, ist eine Harmonisierung der ambulanten Vergütung mit dem DRG-System durch einen durchgängigen Indikationsbezug im fachärztlichen Bereich anzustreben. 3.4 Zur Sicherung einer verlässlichen Finanzierung der zukünftig erheblich steigenden Versorgungsbedarfe und auf Grund der sich dramatisch entwickelnden Krise der privaten Krankenversicherungen gibt es keine verantwortbare Alternative zur schnellstmöglichen Einführung einer Bürgerversicherung in Gesundheit und Pflege. Alle Bürgerinnen und Bürger sollen einen umfassenden Versicherungsschutz nach gleichem Standard erhalten. Von allen Einkünften sollen sie Beiträge entrichten und so die verlässliche Versorgung aller auf hohem Niveau garantieren. Der Wettbewerb der Kostenträger im mit der Bürgerversicherung stabilisierten gegliederten Kassensystem wird sich dann zukünftig ausschließlich auf die bessere Versorgung konzentrieren. Rosinenpicken gehört dann der Vergangenheit an.

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